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Wie Menschen anders leben und sich organisieren können!

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Ich selbst habe schon mit verschiedenen Menschen immer wieder in Gemeinschaft gelebt und bin auch aktuell wieder Teil eines Kollektivs, in dem wir gemeinsam wirtschaften und sehr stark zusammenhelfen. Für uns ist es immer wieder interessant, uns mit anderen Gemeinschaften auseinanderzusetzen, da es einige gibt, die bereits deutlich mehr Erfahrung sammeln durften, wie wir. Ein Hofkollektiv, das es mir dabei verstärkt angetan hat, ist das Hofkollektiv Zwetschke in Österreich.

Ich habe daher Theresa Stöckl, die dort lebt, interviewt. Weil mich interessiert hat, mehr über das Hofkollektiv Zwetschke zu erfahren – und weil ich Euch damit ebenfalls einen Einblick ermöglichen wollte.

Hallo Theresa, ihr nennt Euch „Hofkollektiv“. Ist das nur ein anderes Wort oder was ist der Unterschied zu einer klassischen Hofgemeinschaft?

Foto von Theresa Stöckl

Theresa Stöckl

Theresa: Im Wort „Kollektiv“ drückt sich für mich aus, dass wir kollektiv wirtschaften, besitzen und entscheiden, was meiner Meinung nach in einer Gemeinschaft nicht zwangsläufig so sein muss – kommt aber wieder darauf an, wie eine „klassische Hofgemeinschaft“ definiert wird.

In unserem Fall bedeutet das jedenfalls: Der Verein Hofkollektiv Zwetschke, besitzt bzw. kauft das Anwesen, was das Eigentum unabhängig von Einzelpersonen macht und die Nutzung im Vereinssinn sicherstellt. Wir führen außerdem eine bedürfnisorientierte solidarische Ökonomie – all unsere Einnahmen und Ausgaben fließen in und stammen aus einem Topf, ohne irgendwelche Anteile zu bestimmen oder zu berechnen werden daraus gemeinsame und individuelle Bedürfnisse gedeckt. Wichtige Entscheidungen treffen wir unter Einbeziehung aller Meinungen im Konsens.

Wir bezeichnen uns auch als Kommune, aber da das Wort teils negativ vorbelastet ist haben wir uns für Kollektiv entschieden. Mittlerweile ist mir aufgefallen, dass Menschen durch das „Hof-“ oft annehmen, dass wir „nur“ Landwirtschaft betreiben, bei uns geht es aber auch um so viel anderes und mehr, das finde ich schade.

Wie viele Menschen seid ihr in dem Kollektiv? Und woher kennt ihr Euch?

Theresa: Wir sind mittlerweile sieben Menschen, begonnen haben wir zu viert Anfang 2014. Drei von den GründerInnen haben bereits drei Jahre vorher begonnen, gemeinsam nach einem Hof zu suchen, mit einer sich immer wieder verändernden Gruppe. Während dieser Zeit wurde auch viel Vorarbeit geleistet, die letztendlich die Verwirklichung in der Holzmühle sicher sehr unterstützt hat. Eine weitere Person kam dann aus dem Freundeskreis dazu, als wir die Holzmühle gefunden haben.

Foto des Gebäudes des Hofkollektivs Zwetschke

Seither wachsen wir langsam: Die nächste Zwetschke kam aus der Kommune Niederkaufungen (D) zu uns, wir kannten uns aus der „Vorlaufzeit“ durch Vernetzung mit anderen Gemeinschaften, aus der Kommunenszene sozusagen. Und nun ziehen gerade noch zwei Menschen ein, die wir wiederum aus dem Freundeskreis mehr oder weniger gut kannten.

Foto von 5 Mitgliedern des Hofkollektivs Zwetschke

Vielleicht noch eine Anmerkung: einem Einstieg geht immer eine (individuell andauernde) Probezeit voraus, in der es darum geht, uns gegenseitig gut kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Das ist uns wichtig, weil wir hier gemeinsam sehr viel Verantwortung tragen.

Wie betreibt ihr den Hof? Also welche Bewirtschaftungsweise und welche Produkte? Und ist das ausschließlich zur Eigenversorgung?

Theresa: Der landwirtschaftliche Betrieb steht noch ganz am Anfang, die Flächen waren zu Beginn noch verpachtet und werden erst seit 2015 von uns bewirtschaftet, alles ist daher noch im Aufbau. Ökologische Landwirtschaft ist für uns selbstverständlich, darüber hinaus achten wir sehr auf Kreisläufe und wollen möglichst vielfältig nutzen, was da ist und Sinn macht. Der Betrieb ist klein, insgesamt haben wir 7,5 ha Grund, davon sind ca. 3 ha Wirtschaftsflächen. Es spielt sich alles in Dimensionen ab, wo wir fast ausschließlich von Hand arbeiten und keine großen Maschinen benötigen und verwenden.

Wir haben heuer einen Gemüseacker, der der Selbstversorgung dient. Außerdem haben wir eine Streuobstwiese gepflanzt, die braucht aber noch ein paar Jährchen bis sie was abwirft. Die ersten Produkte, die wir auch zum Verkauf bzw. gegen freie Spende anbieten, sind Wildkräuterprodukte – vorerst Tees und Salze. Unser Grundstück ist unheimlich vielfältig an Biotopen und Arten, das wollen wir weiter fördern und auch nutzen, das Potenzial geht dabei weit über unseren Eigenbedarf hinaus.

Heuer im Herbst wollen wir viele Beerensträucher pflanzen, Klima und Boden eignen sich dafür recht gut, das könnten in Zukunft Produkte werden, die wir auch verkaufen.

Foto von einer Obstbaumpflanzung

Es gibt auch Tierhaltung am Hof, vorerst haben wir 2 Hühner und 2 Laufenten. Angedacht sind mehr Geflügel und Schafe, das wollen wir langsam aufbauen und wird nur für die eigene Versorgung sein. Es geht uns dabei weniger um Fleisch, sondern um Eier und Milchprodukte, uns ist aber natürlich bewusst, dass das in der Tierhaltung miteinander einher geht. Wir essen selbst tierische Produkte und wollen daher die Versorgung damit lieber selbst in die Hand nehmen, wo wir die Bedingungen genau kennen und auch Verantwortung dafür übernehmen, was wir essen.

Ansonsten gibt es noch viele viele Ideen, aber kein festgeschriebenes Konzept, wohin es gehen muss, wir wollen das offen halten und schauen, was gut funktioniert und Freude macht, das kann und soll sich auch immer wieder ändern – ich persönlich sehe die Landwirtschaft auch als großes Experimentierfeld. Auch der dahinter stehende Zweck könnte z.B. mehr in Richtung Bildung, Forschung oder politische Aktivität gehen als reine Produktion.

Was wir also sonst noch gern ausprobieren/anbauen würden? Pilzzucht, Kräuterkulturen, Ackersonderkulturen wie Gewürze, alte Getreidesorten, etc., Jungpflanzenanzucht, Saatgutproduktion…..

Wie sieht bei Euch ein klassischer Tagesablauf aus?

Theresa: Ich glaube, den gibt es bei uns nicht. :)

Wir haben sehr unterschiedliche Tagesrhythmen, einmal durch persönliche Vorlieben und Bedürfnisse (lang schlafen, früh aufstehen etc.) und auch durch unsere verschiedenen Lohnjobs und Aufgabenbereiche. Eigentlich alle von uns haben auch externe Lohnarbeit mit sehr unterschiedlichen bzw. flexiblen Arbeitszeiten. Die Arbeiten und Arbeitsbereiche am Hof sind auch so vielfältig und verschieden, dass jeder Tag wieder ganz anders ist. Mal ist plötzlich ein ganzer Haufen Besuch da und dann ist wieder die Hälfte von uns ausgeflogen und du bist fast allein. Das find ich unter anderem so wunderbar hier! Mir wird nämlich sehr schnell fad. :) Ist aber natürlich auch oft sehr anstrengend, an viele verschiedene Dinge zu denken und zu organisieren.

Hier trotzdem der Versuch zu beschreiben, was bei uns „normal“ ist:

Aufstehen und frühstücken tun alle zu sehr unterschiedlichen Zeiten und daher mal allein, mal gemeinsam. Dann gibt’s eben entweder Lohnarbeiten zu erledigen, die manche von uns von zu Hause aus am Computer tun können, andere fahren dafür weg. Mal gibt’s Tage, an denen jede/r für sich Sachen erledigt oder tut, an anderen machen wir uns gemeinsame Aktionen aus, z.B. Kräuter sammeln, am diversen Baustellen arbeiten, einen Ausflug machen, am Feld arbeiten. Holz machen, entrümpeln. Wir haben auch viele Verwaltungs-, Planungs- und Organisationsaufgaben, wie die Vereinsfinanzverwaltung, Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Homepage oder Flyer gestalten, Texte für Aussendungen schreiben), Veranstaltungen organisieren, die hauseigene Foodcoop verwalten, etc. etc.

Foto von einer Pinnwand und darunter gelagertem Toilettenpapier im Hofkollektiv Zwetschke

Wir haben keinen Kochplan, aber wir wünschen uns einmal am Tag ein gemeinsames warmes Essen, das kann irgendwann zwischen 13 und 20 Uhr sein, und meistens klappt es auch. Es gibt übrigens auch keinen Putzplan, aber den Putzmontag, an dem zumindest die meisten sich um putzen und Ordnung schaffen kümmern, je nach Möglichkeit, Laune, Bedarf, was meiner Meinung nach auch ziemlich gut funktioniert. An anderen Tagen ist putzen auch erlaubt :).

Natürlich haben wir auch Gruppentreffen, meistens 1-2 pro Woche. Fix ist jedenfalls jeden Montag der sogenannte Zwetschkentratsch. Wir treffen uns alle um über Soziales und Emotionales zu reden, mal zu bestimmten Themen, mal was momentan in der Luft liegt, mal mit bestimmten Methoden, mal tun wir uns auch einfach was Gutes gemeinsam. Der Tratsch ist uns sehr wichtig und ist eine Art Stützpfeiler unseres Zusammenlebens. Ganz strikt getrennt davon sind organisatorische Besprechungen, an denen wir Entscheidungen treffen und uns gegenseitig informieren.

Dann gibt’s noch manchmal Gruppentreffen zu ganz bestimmten Themen, z.B. Raumplanung, Betriebsideen, Finanzen,…

Und bei all dem schauen wir dazwischen noch, dass wir Zeit haben ums einfach zu genießen. Auf der Wiese liegen, im Fluss schwimmen und spielen, Yoga machen, tanzen, musizieren, gemütlich zusammen sitzen. Das schaffen wir mal mehr, mal weniger, je nachdem was grade so los ist ;)

Wie finanziert ihr das Ganze?

Theresa: Unsere Finanzen teilen sich erstmal in 2 Bereiche – die Alltagsökonomie und die Vermögensökonomie bzw. Vereinsfinanzen.

Der Alltagsbereich finanziert sich derzeit hauptsächlich aus unseren Lohnjobs, da wir vor Ort (noch?) keine Betriebe so weit aufgebaut haben, dass daraus Einkommen erzielt wird. Wie bereits erwähnt fließen dabei all unsere Einnahmen, egal wie unterschiedlich hoch, auf einem Konto zusammen, von dem wiederum alle alltäglichen Ausgaben gedeckt werden. Dieses Konto teilen wir übrigens auch noch mit 3 Personen, die nicht bei uns wohnen.

Der andere finanzielle Bereich betrifft den Verein, damit den Kauf des Anwesens und alles was zu Haus und Hof gehört, wie Ausbau und Renovierungen etc. – hier geht es auch um höhere Summen. Teilweise stammt das Geld aus unseren privaten Einlagen; mit einem Volleinstieg ins Hofkollektiv bringen wir auch unser Vermögen (wenn vorhanden) in den Verein ein. Gleichzeitig damit schließen wir Ausstiegsverträge ab, in denen geregelt wird, was und wie viel wir brauchen, sollten wir aus dem Projekt aussteigen. Von unserem Alltagskonto überweisen wir regelmäßig kollektive Beiträge an den Verein, das sind weitere Einkünfte.
Vom Vereinsvermögen werden Ausbauarbeiten, aber auch der Kulturbereich, der Aufbau der Landwirtschaft, Werkzeug und Geräte etc. finanziert.

Außerdem gibt es noch Fördermitglieder, die regelmäßig oder unregelmäßig Beiträge in selbst gewählter Höhe an den Verein zahlen. Noch sind es relativ wenige, aber unser Wunsch wäre, dass durch solche externen Unterstützer*innen z.B. die Fixkosten des Vereins, hauptsächlich Instandhaltung von Grund und Gebäude, getragen werden können. Für mehr Infos kannst Du Dir unser Mitgliedschaftsformular ansehen.

Foto des Hofes des Hofkollektivs Zwetschke

Ebenfalls innerhalb des Vereins, aber auf anderer Ebene spielen sich der Kauf und größere Bauprojekte ab, denn diese werden über private Kleinkredite finanziert. Es ist uns wichtig, dieses Projekt ohne Bankkredite aufzubauen, daher haben wir den direkten Weg gewählt – Menschen, die ihr Geld sonst auf der Bank liegen haben, können es uns mittels Direktkredit zur Verfügung stellen und damit direkt und transparent den Aufbau unseres Hofkollektivs unterstützen. Da unser Anwesen mehrere BesitzerInnen hat, gibt es mehrere Kaufphasen. Letztes Jahr konnten wir mittels Direktkrediten 5/9 der Holzmühle kaufen. Nun müssen wir die restlichen Anteile bis Jahresende ausbezahlen, und hoffen, dass das nochmal bzw. weiter so gut funktioniert. Dazu suchen wir aktuell Kleinkreditgeber*innen! Es geht dabei nicht so sehr um einzelne große Summen, sondern eher um viele Leute, die relativ kleine Beträge anlegen.

Mehr Infos dazu gibt’s auf unserer Homepage unter „Direktkredite“ oder einfach im direkten Kontakt mit uns!

Eine weitere Finanzquelle sind Spenden, sie sind in jeder Art und Höhe willkommen.

Wir freuen uns über jede Art von Unterstützung!

Ist so ein Weg, wie ihr ihn mit Eurem Hofkollektiv geht, für viele andere Menschen auch möglich? Welche Schritte denkst Du sollte man setzen und auf was besonders achten?

Theresa: Ja, ich glaube, dass dieser Weg für viele möglich ist, bzw. wünsche ich mir, dass er das immer mehr wird! Ich will damit aber keinesfalls sagen, dass alle Menschen möglichst so leben sollten – wenn ich auch unseren Lebensstil für sinnvoll und zukunftsfähig halte, die wichtigste Voraussetzung ist immer, wirklich so leben zu wollen.

Das sehe ich auch als sehr wichtigen Schritt: sich erst einmal klar werden, wie man wirklich leben will – Gemeinschaft heißt nicht gleich Gemeinschaft, da gibt es viele verschiedene Formen. Auch am Land leben oder auf einem Hof kann sehr unterschiedlich sein.

Ansonsten kann der Weg sicher sehr individuell verlaufen, in jedem Fall geht es wohl darum, sowohl eine Gruppe als auch einen Ort zu finden. In unserer Gründungsgeschichte haben wir oft diskutiert und nachgedacht, was es zuerst braucht – im Endeffekt glaube ich es war bei uns eine Art Koevolution, es kann aber sicher sowohl so als auch so funktionieren.

Als besonders wichtigen Punkt, über den man sich klar werden sollte, sehe ich die ökonomische bzw. Besitzstruktur, die stark mit der Entscheidungsstruktur und etwaigen Hierarchien zusammenhängt, und auch die räumlichen Bedürfnisse und Strukturen.

Foto von fünf Mitgliedern des Hofkollektiv Zwetschke, die so tun, als würden sie einen umstürzenden Holz-Stadl stützen.

Auch wenn ich glaube, dass was wir machen, für viele möglich ist, ist es sicher keinesfalls ein einfacher Weg. Der Zugang zu Land bzw. Ressourcen ist sehr schwierig und kann eine große Hürde sein, so war und ist es auch bei uns. In anderen Ländern gibt es teilweise schon existierende Strukturen und Netzwerke, die das um einiges erleichtern. In Österreich entstehen immerhin gerade einige Initiativen, die es hoffentlich in Zukunft leichter machen werden, Hofkollektive und ähnliche Projekte zu gründen.

Siehe z.B.:

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